Dies ist eine alte Version des Dokuments!


Noch nicht verarbeitete Zitate

»Manche verdienen Geld mit Graffiti. Inzwischen finde ich das auch okay, da ich weiß, dass Graffiti gegen alles mögliche resistent ist, gegen Kommerzialisierung, Strafverfolgung, Spießertum, was auch immer. Graffiti wandelt immer mal wieder sein Gesicht, ist Gegenkultur, Teil und Spiegel der Gesellschaft gleichermaßen.«1)
»Graffiti hat eine niedrige Einstiegsschwelle. Es ist möglich, Graffiti ohne ein kulturelles Kapital auszuüben.«2)
»Eine der Aufgaben der Nulltoleranz ist es, Graffitikünstler zu entmenschlichen und ihnen gemeinsame negative Eigenschaften zuzuschreiben. Nulltoleranzbefürwortern fehlen jedoch wissenschaftliche Unterlagen, um ihre Aussagen zu belegen.«3)
»Unter schwedischen Graffitikünstlern gibt es einen allgemeinen moralischen Konsens, wo man nicht malt: Kirchen, Einfamilienhäuser und Privatautos zum Beispiel sind tabu. Wenn ich Berliner Writer frage: „Wo würdest du nicht malen?“, starren sie mich verständnislos an.«4)
»Kurz nach dem Durchbruch vom Punk kamen die ersten wissenschaftlichen Theorien darüber. Nach fast fünfzig Jahren gibt es immer noch keine entwickelte Theorie über Graffiti. Dies mag der Grund sein, warum die zeitgenössische Kunst es so verzweifelt schwer hat, Graffiti zu verstehen. Gleichzeitig ist es sicher, wie Jacob Kimvall sagt, dass die Kunst Graffiti eher braucht als umgekehrt. Der Graffitibewegung geht es auf eigene Faust ganz gut.«5)
»Denn die Graffiti [im Sinne von Style Writing] sind offensiver, radikaler – sie brechen in die weisse Stadt ein, und vor allem stehen sie jenseits von Ideologien und Kunst. […] Sie allein sind wild, denn ihre Botschaft ist gleich Null.«6)
»Dass Graffiti seit einigen Jahrzehnten zum ästhetischen Mainstream der Postmoderne gehört, haben zahlreiche Sprayer bislang nicht realisiert.«7)
»Fraglich und fast sektenhaft ist ebenfalls die grundsätzliche Heiligsprechung aller Oldschooler. Wenn sich jemand erdreistet über ein Piece rüberzugehen, was jemand beispielsweise vor 10 Jahren gemalt hat, dann geht das große Weinen los. Mit anderen Worten: Ich scheiße auf das Eigentum anderer Leute, doch sobald jemand „mein“ Eigentum (Bild) nicht achtet, verhalte ich mich genau wie die Leute, die ich vorher für Ihre Gartenzwergmentalität verachtet habe.«8)

Matze Jung: REFERENT FÜR GRAFFITI UND STREET ART >»Warum dürfen wir die Wände der Häuser, in denen wir wohnen, nicht gestalten? Warum hat der Hauseigentümer und nicht wir Bewohner_innen, unsere Nachbar_innen und die Passant_innen, die täglich daran vorbei gehen, das Sagen über das Erscheinungsbild unseres Hauses – obwohl er ganz woanders wohnt und das kaum kennt? Warum ist es verboten S-Bahnen zu besprühen und den rot-weißen DB-Einheitslook zu übergehen, wenn es gleichzeitig finanzstarken Unternehmen erlaubt wird, ganze Waggons mit Werbung zu versehen?«9)

»Zwar herrscht ein diffuses Bewusstsein der Graffitiszene „an sich“, was darin zum Ausdruck kommt, dass man sich auf einen gemeinsamen Feind, grobe Spielregeln, anerkannte Techniken, prestigeträchtige Maluntergründe und Aktionsorte einigt sowie – bisweilen aus purem Opportunismus – freundschaftliche Kontakte zu anderen Graffitisten pflegt. Eine „Szene für sich“, die einen solidarischen Umgang untereinander pflegt, lässt sich, abgesehen von Ausnahmen vor allem in kleineren Städten, nicht ausmachen, wenngleich dies aus unmittelbaren, egoistischen Gründen naheliegend wäre.«10)
»Außerdem leisten in […] Vereinen engagierte Ehrenamtliche […] Großes im Hinblick auf eine Politisierung von Graffiti, wobei auch nicht unter den Tisch fallen darf, dass die Bemühungen von Graffitivereinen sich leider zu häufig auf das Ergattern legaler Flächen oder von Auftragsarbeiten belaufen.«11)
»[…] die „alten Hasen“ sind in der Regel mächtig stolz darauf, dass sie „die Kultur weiterreichen an die nächste Generation“ und sich so verdient machen um das Fortbestehen von beispielsweise „Respekt“ als zentralem Moment innerhalb der Szene. Ansonsten bleibt es meist dabei, dass die Jüngeren gezeigt bekommen wie man die Pfeile richtig an die Buchstaben bastelt, dass Streetart minderwertig ist und der vielbeschworene „Respekt“ eben doch Ausnahmen kennt.«12)
»Graffiti [im Sinne von Style Writing] mit seiner Scheiß-Drauf-Mentalität und damit auch Scheiß-auf-andere-Mentalität ist nicht Rebellion, Punk oder heilvolle Möglichkeit der Partizipation oder Meinungsäußerung im öffentlichen Raum, sondern Mainstream und ein Spiegelbild unserer heutigen westlichen Konsum- und Egogesellschaft, wie Kuhnert es richtig festgestellt hat. Vielleicht hat es keine materialistischen Interessen und Ziele, wie es die Werbung hat, aber genauso wenig hat es altruistische, utilitaristisch-gemeinnützige oder demokratische Ziele bzw. könnte es solche verwirklichen.«13)
»[Wir stoßen hier auf das Problem], dass das Werk nicht primär auf einen ästhetischen, hier vielleicht kalligrafischen, Wert oder Gehalt rekurriert, sondern auf einen performativ-aktionistischen, nämlich auf die erfolgreiche und illegale Anbringung. Da das Werk nur als Verweis fungiert, macht es das malerische bzw. ästhetische Werk in gewisser Weise obsolet.«14)
»Graffiti ist ein artifizielles Kommunikationssystem. Kommuniziert werden weniger geschriebene eindeutige Botschaften, als die kulturellen Identitäten der jeweiligen Akteure. […] Um die Graffitibewegung zu beeinflussen ist es von großer Bedeutung sich diese kommunikative Funktion zu eigen zumachen und in Form von Schriftbildern, die der Öffentlichkeit – wo und wie auch immer – präsentiert werden, eine eigene Position einzunehmen.«15)
»Sprayer können nicht nachzuvollziehen, weshalb eine Zigaretten- oder Alkoholreklame mehr Wert haben sollte als ihre Darstellungen, weil es ihnen an den wirtschaftlichen Zusammenhängen fehlt und sie Straße & Zug als Galerie für alle ansehen. Die Sprayer werden kriminalisiert, aber die Werbung nutzt dies Kreativität, um Produkte für Jugendliche zu vermarkten. Scouts durchforsten die Stadtteile nach Graffiti und platzieren dort ihre Werbeflächen. Die Farbindustrie erfüllt die Wünsche derer, die die Spraydosen illegal einsetzen und sorgen auch für extrem breit sprühende Aufsätze.«16)
»Systemkritik, politische Aufladung und Rechtfertigung, die Graffiti oft beigemessen oder auch vorgeworfen werden, waren einem damals nicht im Sinn. Ich dachte mehr so an eine geheime Art der Kommunikation. […] Der ganze Umfang von Graffiti und die Zuordnung von Pseudonymen erschloss sich mir erst später. Dass es verboten war, musste ich auch erst durch meine Eltern erfahren. […] Es verstörte mich als Kind, das diese neuen Errungenschaften lediglich mit allen kompromisslos teilen wollte.«17)
»Die […] Faszination für das Autodidaktische, das im stillen Kämmerlein stattfindet, birgt potentiell die Gefahr einer verzerrten Wahrnehmung des Selbstbewusstseins und des Egos. Eine Gratwanderung der Selbstreflexion.«18)
»Die früheren Vorgaben und Auflagen haben sich [heute] verflüchtigt. Der Anachronismus hält Einzug. Die Kids von früher sind sprühende Rentner geworden, der einstige Bite zum Zitat.«19)
»Das Gefühl einer Zeit, in der man sich die Freiheit nahm, etwas mit derartigem Eifer ohne Blick auf Konsequenzen zu betreiben, bringt einen um so mehr in eine Verteidigungsposition, wenn das Thema kritisch oder bejahend aufkommt. Es ist ein Teil von einem und man wünscht sich am liebsten keine Bewertung von außen. Zu intim, zu romantisch die Beweggründe.«20)
»So kommt es, dass längst vergessene Sprüher über Nacht wieder aktiv werden, wenn sie gefeuert wurden oder die Freundin Schluss gemacht hat. Graffiti ist ein kalkuliertes Erfolgserlebnis mit der zusätzlichen Option eines Ventils, welches stets leicht zu öffnen ist. Besser man hat nebenbei noch andere Interessen oder daraus entwickelt, die Wurzeln zu anderen Ufern geschlagen haben. Dadurch hätte man seinen ganz eigenen Weg in die Gesellschaft gefunden, weil die Power von Graffiti umgewandelt werden konnte.«21)
»Es wäre schier ungerecht all die Herausforderungen und negativen Symptome, die für mich eher einer Zeit und der darin so oder so stattfindenden persönlichen Entwicklung geschuldet sind, einer (jugend-)kulturellen Erscheinung zuzuschreiben. Nicht zuletzt weil man zu ihr eine emotionale und subjektive Beziehung hatte, sollte sie nicht mit Frust projiziert und so im Keim erstickt werden. Graffiti ist und bleibt eine Reaktion auf die Gesellschaft, es ist abhängig von ihr. Dementsprechend kann das Spektrum auch breit und plump ausfallen. Jede Generation hat ihre Sprüher.«22)
»[…] all der zuvor angedeutete Mist passiert sowieso, denn das gehört zum Heranwachsen/Erwachsenwerden und wohl ebenso zur Evolution des Writings, aber wenn man so um die 30 ist, +- ein paar Jahre, und einfach Scheiße bleibt, dann sehe ich Psychotherapiebedarf. Sollte da nicht ruhiger, besonnener, klarer und durchdachter gehandelt werden, dann hat da wohl der Papa, der Onkel oder vielleicht auch die Mutti mit dem Kleinen Schindluder im Keller getrieben.«23)
»An den Uferhallen erzählte mir T.K., seitdem er nicht mehr malte, wäre er ein besserer Maler geworden. Ich bekam einen Anfall und wir stritten uns. Heute glaube ich immer noch, dass er im Unrecht ist, beneide ihn aber sehr um diese Erkenntnis.«24)
»Die Präsenz von Graffiti in großen kommerziellen Galerien ist ein Phänomen, das auf die 1980er Jahre beschränkt geblieben ist. […] Graffiti, so kann man nach Jahrzehnten sagen, ist keine Kunstbewegung unter anderen geworden. […] Graffiti [führt] ein Dasein am Rande der Kunst – ein historisches Alleinstellungsmerkmal, denn vergleichbare populärkünstlerische Phänomene […] brachten es irgendwann doch zur akzeptierten künstlerischen Technik.«25)
»Die Vernetzungen, die sich in diesem Milieu ergaben, gingen in sehr verschiedene Richtungen. Einerseits waren sich Graffiti, Kunst und Politik nie so nahe wie hier, andererseits weitete sich Graffiti mit diesen Ressourcen bis in die kommerzielle Kunstszene und in kulturindustrielle Formate wie Kinofilme aus. Über Fashion Moda kamen Lee und Basquiat 1982 zur Documenta 7 nach Kassel; Charlie Ahearns bei Colab genutzte Filmskills ermöglichten Style Wars. Die Ausstellungen im New Museum, im Mudd Club, im PS.1 oder White Columns weckten den Appetit der kommerziellen Galerien wie Barbara Gladstone, Tony Shafrazi oder Sidney Janis; sie öffneten die Türen europäischer Museen, und die prominente Szene von Galerie-Writern ließ kommerzielle Gelegenheitsgalerien wie Patti Astors Fun Gallery entstehen. Den Writern lagen am Ende, so kann man heute zusammenfassen, die alternative Kunstszene und deren politkünstlerische Konzepte deutlich weniger am Herzen als umgekehrt. Die breiten Produktions- und Publikationsmittel, die nun einigen Writern zur Verfügung standen, führten zu einer Anpassung an die Regeln des kommerziellen Kunstmarkts und der kulturindustriellen Vermarktung, die bis heute in der absurden Folklore des Graffiti-Merchandise zu erleben ist.«26)




1)
Jenz Steiner als 38jähriger Writer, der mit 13 anfing zu malen: The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – EIN LEBENDIGER TEIL VON MIR, Abruf am 20.11.2022
2) , 3) , 4) , 5)
6)
Baudrillard, Jean: KOOL KILLER oder Der Aufstand der Zeichen, Merve Verlag, Berlin, 1978, S. 37
  • zitate.1673081540.txt.gz
  • Zuletzt geändert: vor 2 Jahren
  • von administrator