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====== Strategien des Umgangs mit Graffiti ====== | ====== Strategien des Umgangs mit Graffiti ====== |
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Die Erfahrung lehrt, dass kein noch so ausgeklügeltes Konzept, keine noch so cleveren Einzelmaßnahmen und kein noch so kompromissloses Vorgehen unautorisierte Graffiti – als jahrtausendaltes, komplexes gesellschaftliches Phänomen – gänzlich aus dem urbanen Raum verdrängen werden.((Der schwedische Writer Tobias Barenthin Lindblad erkennt keine empirisch nachgewiesene Wirksamkeit einer kompromisslosen Bekämpfung von Graffiti: »Eine der Aufgaben der Nulltoleranz ist es, Graffitikünstler zu entmenschlichen und ihnen gemeinsame negative Eigenschaften zuzuschreiben. Nulltoleranzbefürwortern fehlen jedoch wissenschaftliche Unterlagen, um ihre Aussagen zu belegen.« – Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) Alle verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten ebenfalls darauf hin, dass auch die Förderung von Graffiti als singuläre Kunstform mittels Ausstellungen, legaler Wände, Auftragsarbeiten, Kursen etc. nicht zu einer dauerhaften Assimilierung von Graffiti ins gesellschaftliche Rahmenkorsett führt und minderwertige unautorisierte Graffiti eher fördert als verdrängt. Jeglicher bisheriger Umgang mit Graffiti durch Außenstehende adressierte zum Großteil lediglich Symptome, ohne in den Wesenskern des Phänomens einzudringen. | Die Erfahrung lehrt, dass kein noch so ausgeklügeltes Konzept, keine noch so cleveren Einzelmaßnahmen und kein noch so kompromissloses Vorgehen unbefugt erstellte Graffiti – als jahrtausendaltes, komplexes gesellschaftliches Phänomen – gänzlich aus dem urbanen Raum verdrängen werden.((Der schwedische Writer Tobias Barenthin Lindblad erkennt keine empirisch nachgewiesene Wirksamkeit einer kompromisslosen Bekämpfung von Graffiti: »Eine der Aufgaben der Nulltoleranz ist es, Graffitikünstler zu entmenschlichen und ihnen gemeinsame negative Eigenschaften zuzuschreiben. Nulltoleranzbefürwortern fehlen jedoch wissenschaftliche Unterlagen, um ihre Aussagen zu belegen.« – Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) Alle verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten ebenfalls darauf hin, dass auch die Förderung von Graffiti als singuläre Kunstform mittels Ausstellungen, legaler Wände, Auftragsarbeiten, Kursen etc. nicht zu einer dauerhaften Assimilierung von Graffiti ins gesellschaftliche Rahmenkorsett führt und minderwertige Graffiti eher fördert als verdrängt. Jeglicher bisheriger Umgang mit Graffiti durch Außenstehende adressierte zum Großteil lediglich Symptome, ohne in den Wesenskern des Phänomens einzudringen. |
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Wer Graffiti als Problem sieht, sollte jenseits von Ablehnung oder Akzeptanz neue Wege gehen. Voraussetzung dafür ist immer das Verständnis des Wesens von Graffiti als anarchische, vorwiegend jugendliche Kommunikationsform. Je wirksamer diese Kommunikationsform ist, je stärker sie reflektiert wird, um so mehr unautorisierte Graffiti gibt es. Graffiti lassen sich nicht auf rechtliche, künstlerische und kulturelle Aspekte einengen, sondern umfassen vor allem soziale und sozialpsychologische Wesenszüge. Es gibt keine //guten// oder //schlechten// Graffiti, keine //ästhetischen// oder //hässlichen//. Wer Graffiti durch Strafverfolgung kompromisslos bekämpft oder unreflektiert als kulturell-künstlerische Besonderheit fördert, muss sich bewusst sein, dass es Graffiti immer nur im Gesamtpaket gibt und nicht in gewünschten Teilen. Einseitige weltanschauliche oder persönlich-subjektive Positionen, die wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, werden keine Hilfe im Umgang mit Graffiti sein. | Wer Graffiti als Problem sieht, sollte jenseits von Ablehnung oder Akzeptanz neue Wege gehen. Voraussetzung dafür ist immer das Verständnis des Wesens von Graffiti als anarchische, vorwiegend jugendliche Kommunikationsform. Je wirksamer diese Kommunikationsform ist, je stärker sie reflektiert wird, um so mehr unbefugt erstellte Graffiti gibt es. Graffiti lassen sich nicht auf rechtliche, künstlerische und kulturelle Aspekte einengen, sondern umfassen vor allem soziale und sozialpsychologische Wesenszüge. Es gibt keine //guten// oder //schlechten// Graffiti, keine //ästhetischen// oder //hässlichen//. Wer Graffiti durch Strafverfolgung kompromisslos bekämpft oder unreflektiert als kulturell-künstlerische Besonderheit fördert, muss sich bewusst sein, dass es Graffiti immer nur im Gesamtpaket gibt und nicht in gewünschten Teilen. Einseitige weltanschauliche oder persönlich-subjektive Positionen, die wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, werden keine Hilfe im Umgang mit Graffiti sein. |
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Der [[https://graffitiforschung.de/|Deutsche Verein für Graffitiforschung]] bietet Beratung und Vorträge zur Thematik Umgang mit Graffiti an. | Der [[https://graffitiforschung.de/|Deutsche Verein für Graffitiforschung]] bietet Beratung und Vorträge zur Thematik Umgang mit Graffiti an. |
===== 2. Analyse der Wirkung ausgewählter Einzelmaßnahmen ===== | ===== 2. Analyse der Wirkung ausgewählter Einzelmaßnahmen ===== |
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Die beigefügte Grafik listet Einzelmaßnahmen zum Umgang mit Graffiti auf. Diese umfassen sowohl Maßnahmen zur Prävention unautorisierter als auch zur Förderung legaler Graffiti. Alle Maßnahmen lassen sich unterteilen in solche, die symptomatische Ansätze verfolgen (die Erscheinung von Graffiti steht im Fokus) und solche, die auf systemischen Ansätzen basieren (das Wesen von Graffiti steht im Fokus). Besteht die Zielstellung in der Verringerung und Prävention unautorisierter Graffiti, so zeigen nur sehr wenige Einzelmaßnahmen sowohl mit symptomatischen als auch systemischen Ansätzen gute Erfolgschancen. Manche bewirken in diesem Kontext sogar das Gegenteil des Gewollten. Die meisten Einzelmaßnahmen wirken nur unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen. Nachhaltige Erfolge zeigen nur Kombinationen bestimmter Einzelmaßnahmen, die nach sachkundiger Analyse der konkreten Bedingungen vor Ort ausgewählt, konsequent durchgesetzt und periodisch evaluiert werden. Eine allgemeingültige Aussage zur Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen ist deshalb nicht möglich. | Die beigefügte Grafik listet Einzelmaßnahmen zum Umgang mit Graffiti auf. Diese umfassen sowohl Maßnahmen zur Prävention unbefugt erstellter Graffiti als auch zur Förderung legaler graffitiähnlicher Darstellungen. Alle Maßnahmen lassen sich unterteilen in solche, die symptomatische Ansätze verfolgen (die Erscheinung von Graffiti steht im Fokus) und solche, die auf systemischen Ansätzen basieren (das Wesen von Graffiti steht im Fokus). Besteht die Zielstellung in der Verringerung und Prävention unbefugt erstellter Graffiti, so zeigen nur sehr wenige Einzelmaßnahmen sowohl mit symptomatischen als auch systemischen Ansätzen gute Erfolgschancen. Manche bewirken in diesem Kontext sogar das Gegenteil des Gewollten. Die meisten Einzelmaßnahmen wirken nur unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen. Nachhaltige Erfolge zeigen nur Kombinationen bestimmter Einzelmaßnahmen, die nach sachkundiger Analyse der konkreten Bedingungen vor Ort ausgewählt, konsequent durchgesetzt und periodisch evaluiert werden. Eine allgemeingültige Aussage zur Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen ist deshalb nicht möglich. |
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Während einigen wenigen Maßnahmen von Betroffenen subjektiv oft eine gute Wirksamkeit bescheinigt wird, liegen lediglich zu //Freigabe von Flächen zum legalen Sprühen// und eingeschränkt zu //Konsequentes präventives Entfernen// wissenschaftlich belastbare Ergebnisse vor. Deshalb werden nur die beiden letztgenannten Maßnahmen im Weiteren hier näher beleuchtet. | Während einigen wenigen Maßnahmen von Betroffenen subjektiv oft eine gute Wirksamkeit bescheinigt wird, liegen lediglich zu //Freigabe von Flächen zum legalen Sprühen// und eingeschränkt zu //Konsequentes präventives Entfernen// wissenschaftlich belastbare Ergebnisse vor. Deshalb werden nur die beiden letztgenannten Maßnahmen im Weiteren hier näher beleuchtet. |