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graffiti_und_kunstfreiheit [2024/10/19 16:50] – graffitaro | graffiti_und_kunstfreiheit [2024/10/19 16:55] (aktuell) – graffitaro |
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Das heutige Szene-Graffiti hat seine Wurzeln im Style Writing, das Ende der 1960er Jahre in amerikanischen Großstädten mit Schwerpunkt New York entstand und sich später zur globalen Bewegung entwickelte. Jugendliche aus prekären Verhältnissen lebten ihren Geltungsdrang aus, indem sie ihre Namen als Pseudonyme mit Stiften möglichst oft an die Wände ihrer Wohngegend schrieben. Bald erkannten sie die Spraydose als geeignetes Werkzeug, breiteten sich über die gesamte Stadt aus und ließen auch die öffentlichen Transportmittel als ideales Verbreitungsmedium nicht verschont. Es entbrannte ein Wettbewerb unter den Akteuren um die meisten und spektakulärsten Hits an den ultimativsten Orten. Es genügte nun nicht mehr, einfach seinen Namen möglichst oft an die Wand zu schreiben: aufwändig kalligrafisch gestaltete Buchstabenketten in immer ausgefalleneren Stilarten an den unmöglichsten Orten mussten her. | Das heutige Szene-Graffiti hat seine Wurzeln im Style Writing, das Ende der 1960er Jahre in amerikanischen Großstädten mit Schwerpunkt New York entstand und sich später zur globalen Bewegung entwickelte. Jugendliche aus prekären Verhältnissen lebten ihren Geltungsdrang aus, indem sie ihre Namen als Pseudonyme mit Stiften möglichst oft an die Wände ihrer Wohngegend schrieben. Bald erkannten sie die Spraydose als geeignetes Werkzeug, breiteten sich über die gesamte Stadt aus und ließen auch die öffentlichen Transportmittel als ideales Verbreitungsmedium nicht verschont. Es entbrannte ein Wettbewerb unter den Akteuren um die meisten und spektakulärsten Hits an den ultimativsten Orten. Es genügte nun nicht mehr, einfach seinen Namen möglichst oft an die Wand zu schreiben: aufwändig kalligrafisch gestaltete Buchstabenketten in immer ausgefalleneren Stilarten an den unmöglichsten Orten mussten her. |
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Die Staatsmacht fand keinen Gefallen an diesem „Vandalismus“ und sagte den unautorisiert erstellten Zeichen den Kampf an. Sehr früh gab es auch staatlich geförderte Projekte, in denen Sozialarbeiter versuchten, die Jugendlichen von der Straße weg zu holen und deren Enthusiasmus in gesetzeskonforme Aktivitäten umzulenken. Im Rahmen dieser Projekte wurden legale Wände bereitgestellt, Ausstellungen organisiert, Leinwände verkauft und Auftragsarbeiten akquiriert.((»Es waren staatlich unterstützte, sozialpädagogische Integrationsprojekte wie die United Graffiti Artists oder später die Nation of Graffiti Artists, die im Rahmen von Stadtteilarbeit Writer versammelten und erste Ausstellungen organisierten. Leinwandverkäufe und Aufträge sollten die kreativen Energien der jugendlichen Writer weg von den Subways und in legale Bahnen lenken. [...] Es ist also durchaus berechtigt zu sagen, dass die früheste Verknüpfung von Graffiti und Kunst im engeren Sinne [...] im Zeichen sozialpädagogischer Armuts- und Kriminalitätsbekämpfung stattfand.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) | Die Staatsmacht fand keinen Gefallen an diesem „Vandalismus“ und sagte den unbefugt erstellten Zeichen den Kampf an. Sehr früh gab es auch staatlich geförderte Projekte, in denen Sozialarbeiter versuchten, die Jugendlichen von der Straße weg zu holen und deren Enthusiasmus in gesetzeskonforme Aktivitäten umzulenken. Im Rahmen dieser Projekte wurden legale Wände bereitgestellt, Ausstellungen organisiert, Leinwände verkauft und Auftragsarbeiten akquiriert.((»Es waren staatlich unterstützte, sozialpädagogische Integrationsprojekte wie die United Graffiti Artists oder später die Nation of Graffiti Artists, die im Rahmen von Stadtteilarbeit Writer versammelten und erste Ausstellungen organisierten. Leinwandverkäufe und Aufträge sollten die kreativen Energien der jugendlichen Writer weg von den Subways und in legale Bahnen lenken. [...] Es ist also durchaus berechtigt zu sagen, dass die früheste Verknüpfung von Graffiti und Kunst im engeren Sinne [...] im Zeichen sozialpädagogischer Armuts- und Kriminalitätsbekämpfung stattfand.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) |
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Später, als die Null-Toleranz-Politik temporär sichtbare Resultate zeitigte, sahen einige schon das Ende der noch jungen Writing-Bewegung. Als mögliche Rettung im Überlebenskampf wurde von Teilen der Szene die Flucht unter den konstitutionell geschützten Schirm der etablierten Kunst erkannt. Letztere hatte – auf der Suche nach neuen Inspirationen – schon lange ein Auge auf das Style Writing geworfen, verkörperte es doch Kreativität ohne einengende Vorgaben, ohne Zugangsschranken und ohne ökonomische Zwänge.((Tobias Barenthin Lindblad stellt dazu fest, dass die etablierte Kunst bis heute nicht verstanden hat, dass das Wesen von Graffiti jenseits von Kunst liegt und macht als Ursache dafür die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung von Graffiti aus: »Kurz nach dem Durchbruch vom Punk kamen die ersten wissenschaftlichen Theorien darüber. Nach fast fünfzig Jahren gibt es immer noch keine entwickelte Theorie über Graffiti. Dies mag der Grund sein, warum die zeitgenössische Kunst es so verzweifelt schwer hat, Graffiti zu verstehen. Gleichzeitig ist es sicher, wie Jacob Kimvall sagt, dass die Kunst Graffiti eher braucht als umgekehrt. Der Graffitibewegung geht es auf eigene Faust ganz gut.« - Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) Der Kunstbetrieb lockte mit seinen Ressourcen: Galerien, Ateliers, Kurse, Netzwerke, Förder- und Vermarktungsmöglichkeiten. Somit fand die Annäherung von Graffiti-Szene und etablierter Kunst durch beidseitigen Antrieb statt, wenngleich letztere zweifellos die treibende Kraft darstellte.((»Die Vernetzungen, die sich in diesem Milieu ergaben, gingen in sehr verschiedene Richtungen. Einerseits waren sich Graffiti, Kunst und Politik nie so nahe wie hier, andererseits weitete sich Graffiti mit diesen Ressourcen bis in die kommerzielle Kunstszene und in kulturindustrielle Formate wie Kinofilme aus. Über Fashion Moda kamen Lee und Basquiat 1982 zur Documenta 7 nach Kassel; Charlie Ahearns bei Colab genutzte Filmskills ermöglichten Style Wars. Die Ausstellungen im New Museum, im Mudd Club, im PS.1 oder White Columns weckten den Appetit der kommerziellen Galerien wie Barbara Gladstone, Tony Shafrazi oder Sidney Janis; sie öffneten die Türen europäischer Museen, und die prominente Szene von Galerie-Writern ließ kommerzielle Gelegenheitsgalerien wie Patti Astors Fun Gallery entstehen. Den Writern lagen am Ende, so kann man heute zusammenfassen, die alternative Kunstszene und deren politkünstlerische Konzepte deutlich weniger am Herzen als umgekehrt. Die breiten Produktions- und Publikationsmittel, die nun einigen Writern zur Verfügung standen, führten zu einer Anpassung an die Regeln des kommerziellen Kunstmarkts und der kulturindustriellen Vermarktung, die bis heute in der absurden Folklore des Graffiti-Merchandise zu erleben ist.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) Spätestens Anfang der 1980er Jahre wurden Graffiti mitunter bereits als legitime Kunstbewegung gesehen, die die nächste Stufe ihrer Entwicklung erreicht und ihre Illegalität überwunden hatte.((»Besonders mit Sidney Janis‘ Ausstellung Post-Graffiti 1983 […] verband sich die Behauptung, dass Graffiti nun eine legitime Kunst-Bewegung unter anderen sei, die als nächsthöhere Stufe das überwand und obsolet machte, was ihr auf den Subways und Straßen vorangegangen war. […] Verkauft wurden zwar individuelle Arbeiten, die aber für die Kunstwelt kaum mehr waren als bloße Träger des symbolischen Kapitals der Straßenbewegung.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) Graffiti fanden ihren Weg in namhafte Galerien und zur Beschreibung dieser Entwicklung wurde der Begriff Post-Graffiti geprägt. Was heute unter dem Begriff //Street Art// subsumiert wird, entstand zweifellos ebenfalls im Bestreben der Entkriminalisierung von Graffiti.((»Street Art als Bewegung hat sich als Reaktion auf die Kriminalisierung von Graffiti und die harte Hand der Polizei entwickelt, aber sie markiert auch den Übergang vom jugendlichen Scherz zum reifen Kunstschaffen« – Armstrong, Simon: Street Art, Midas Verlag AG, Zürich, 2022, S. 11)) Auch wenn Street Art und graffitinahe Bestandteile von Urban Art eine Entwicklung eingeschlagen haben, die jenseits von Graffiti im originären Verständnis anzusiedeln ist, kann Street Art dennoch mit Fug und Recht als Kind von Graffiti bezeichnet werden.((»Auch Street Art ist ein schwammiger Begriff [... und es] ist oft schwierig, sie von ihren [...] Wurzeln zu trennen: Sie widersetzt sich Regeln, stellt Kategorien in Frage und lehnt das Gesetz ab. Obwohl sich Künstler wie Jenny Holzer, Gordon Matta-Clark und Sol LeWitt selbst nie als Graffiti-Künstler bezeichnen würden, haben sie klare Verbindungen zur Graffiti-Tradition. Die Street Art steht für sich selbst, mit ihren eigenen Materialien und Methoden, aber sie bleibt immer ein Kind des Graffiti.« – Armstrong, Simon: Street Art, Midas Verlag AG, Zürich, 2022, S. 11)) Einher mit der damaligen Entwicklung gingen Verklärungs-, Legitimierungs- und Glorifizierungsversuche, die Graffiti in ein altruistisch-romantisches Licht rücken sollten und bis heute nachwirken.((Frühe Bildbände von Martha Cooper und Henry Chalfant trugen wesentlich zu dieser Verklärung bei (vgl. Cooper, Martha / Chalfant, Henry: Subway Art, Thames and Hudson, London, 1984; Chalfant, Henry / Prigoff, James : Spraycan Art, Thames and Hudson, London, 1987). In der Tat entsteht beim Durchblättern von //Subway Art// für den unbedarften Leser der Eindruck, die Graffiti-Szene sei eine familiäre Gemeinschaft, in deren Rahmen sich 3 Uhr nachmittags Paare aus der Nachbarschaft beim Kaffeekränzchen treffen und dabei die Aktivitäten für den mitternächtlichen Volkshochschul-Spraykurs im U-Bahn-Depot absprechen. Dabei wird verdrängt, dass Style Writing vom Wesen her eine rein auf Selbstdarstellung angelegte kompetitive Erscheinung mit teilweise egozentrischer und egomanischer Ausrichtung ist.)) ((»Umso interessanter wird natürlich der Umstand, dass Kunstinstitutionen wie Artists Space ihre Türen für Graffiti öffneten. Je mehr Aufregung die gebombten Subways in der städtischen Öffentlichkeit erregten, desto interessanter wurde die Bewegung für diese gerade entstehende, alternative Kunstszene der Stadt. [...] Dass Graffiti in sich hierarchisch und seinem Zweck nach egoistisch war, wurde auch damals schon klar gesehen. Beim Kunstkritiker Peter Schjeldahl, der einen Text für das kleine Katalogheft zur Ausstellung verfasste, fand die „elitist and egocentric new form of expression“ gerade deshalb Anerkennung, weil sie Kunsttheorien oder antielitären Prinzipien nicht gehorche und stilistische Individualität zum absoluten Zweck erhebe.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) | Später, als die Null-Toleranz-Politik temporär sichtbare Resultate zeitigte, sahen einige schon das Ende der noch jungen Writing-Bewegung. Als mögliche Rettung im Überlebenskampf wurde von Teilen der Szene die Flucht unter den konstitutionell geschützten Schirm der etablierten Kunst erkannt. Letztere hatte – auf der Suche nach neuen Inspirationen – schon lange ein Auge auf das Style Writing geworfen, verkörperte es doch Kreativität ohne einengende Vorgaben, ohne Zugangsschranken und ohne ökonomische Zwänge.((Tobias Barenthin Lindblad stellt dazu fest, dass die etablierte Kunst bis heute nicht verstanden hat, dass das Wesen von Graffiti jenseits von Kunst liegt und macht als Ursache dafür die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung von Graffiti aus: »Kurz nach dem Durchbruch vom Punk kamen die ersten wissenschaftlichen Theorien darüber. Nach fast fünfzig Jahren gibt es immer noch keine entwickelte Theorie über Graffiti. Dies mag der Grund sein, warum die zeitgenössische Kunst es so verzweifelt schwer hat, Graffiti zu verstehen. Gleichzeitig ist es sicher, wie Jacob Kimvall sagt, dass die Kunst Graffiti eher braucht als umgekehrt. Der Graffitibewegung geht es auf eigene Faust ganz gut.« - Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) Der Kunstbetrieb lockte mit seinen Ressourcen: Galerien, Ateliers, Kurse, Netzwerke, Förder- und Vermarktungsmöglichkeiten. Somit fand die Annäherung von Graffiti-Szene und etablierter Kunst durch beidseitigen Antrieb statt, wenngleich letztere zweifellos die treibende Kraft darstellte.((»Die Vernetzungen, die sich in diesem Milieu ergaben, gingen in sehr verschiedene Richtungen. Einerseits waren sich Graffiti, Kunst und Politik nie so nahe wie hier, andererseits weitete sich Graffiti mit diesen Ressourcen bis in die kommerzielle Kunstszene und in kulturindustrielle Formate wie Kinofilme aus. Über Fashion Moda kamen Lee und Basquiat 1982 zur Documenta 7 nach Kassel; Charlie Ahearns bei Colab genutzte Filmskills ermöglichten Style Wars. Die Ausstellungen im New Museum, im Mudd Club, im PS.1 oder White Columns weckten den Appetit der kommerziellen Galerien wie Barbara Gladstone, Tony Shafrazi oder Sidney Janis; sie öffneten die Türen europäischer Museen, und die prominente Szene von Galerie-Writern ließ kommerzielle Gelegenheitsgalerien wie Patti Astors Fun Gallery entstehen. Den Writern lagen am Ende, so kann man heute zusammenfassen, die alternative Kunstszene und deren politkünstlerische Konzepte deutlich weniger am Herzen als umgekehrt. Die breiten Produktions- und Publikationsmittel, die nun einigen Writern zur Verfügung standen, führten zu einer Anpassung an die Regeln des kommerziellen Kunstmarkts und der kulturindustriellen Vermarktung, die bis heute in der absurden Folklore des Graffiti-Merchandise zu erleben ist.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) Spätestens Anfang der 1980er Jahre wurden Graffiti mitunter bereits als legitime Kunstbewegung gesehen, die die nächste Stufe ihrer Entwicklung erreicht und ihre Illegalität überwunden hatte.((»Besonders mit Sidney Janis‘ Ausstellung Post-Graffiti 1983 […] verband sich die Behauptung, dass Graffiti nun eine legitime Kunst-Bewegung unter anderen sei, die als nächsthöhere Stufe das überwand und obsolet machte, was ihr auf den Subways und Straßen vorangegangen war. […] Verkauft wurden zwar individuelle Arbeiten, die aber für die Kunstwelt kaum mehr waren als bloße Träger des symbolischen Kapitals der Straßenbewegung.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) Graffiti fanden ihren Weg in namhafte Galerien und zur Beschreibung dieser Entwicklung wurde der Begriff Post-Graffiti geprägt. Was heute unter dem Begriff //Street Art// subsumiert wird, entstand zweifellos ebenfalls im Bestreben der Entkriminalisierung von Graffiti.((»Street Art als Bewegung hat sich als Reaktion auf die Kriminalisierung von Graffiti und die harte Hand der Polizei entwickelt, aber sie markiert auch den Übergang vom jugendlichen Scherz zum reifen Kunstschaffen« – Armstrong, Simon: Street Art, Midas Verlag AG, Zürich, 2022, S. 11)) Auch wenn Street Art und graffitinahe Bestandteile von Urban Art eine Entwicklung eingeschlagen haben, die jenseits von Graffiti im originären Verständnis anzusiedeln ist, kann Street Art dennoch mit Fug und Recht als Kind von Graffiti bezeichnet werden.((»Auch Street Art ist ein schwammiger Begriff [... und es] ist oft schwierig, sie von ihren [...] Wurzeln zu trennen: Sie widersetzt sich Regeln, stellt Kategorien in Frage und lehnt das Gesetz ab. Obwohl sich Künstler wie Jenny Holzer, Gordon Matta-Clark und Sol LeWitt selbst nie als Graffiti-Künstler bezeichnen würden, haben sie klare Verbindungen zur Graffiti-Tradition. Die Street Art steht für sich selbst, mit ihren eigenen Materialien und Methoden, aber sie bleibt immer ein Kind des Graffiti.« – Armstrong, Simon: Street Art, Midas Verlag AG, Zürich, 2022, S. 11)) Einher mit der damaligen Entwicklung gingen Verklärungs-, Legitimierungs- und Glorifizierungsversuche, die Graffiti in ein altruistisch-romantisches Licht rücken sollten und bis heute nachwirken.((Frühe Bildbände von Martha Cooper und Henry Chalfant trugen wesentlich zu dieser Verklärung bei (vgl. Cooper, Martha / Chalfant, Henry: Subway Art, Thames and Hudson, London, 1984; Chalfant, Henry / Prigoff, James : Spraycan Art, Thames and Hudson, London, 1987). In der Tat entsteht beim Durchblättern von //Subway Art// für den unbedarften Leser der Eindruck, die Graffiti-Szene sei eine familiäre Gemeinschaft, in deren Rahmen sich 3 Uhr nachmittags Paare aus der Nachbarschaft beim Kaffeekränzchen treffen und dabei die Aktivitäten für den mitternächtlichen Volkshochschul-Spraykurs im U-Bahn-Depot absprechen. Dabei wird verdrängt, dass Style Writing vom Wesen her eine rein auf Selbstdarstellung angelegte kompetitive Erscheinung mit teilweise egozentrischer und egomanischer Ausrichtung ist.)) ((»Umso interessanter wird natürlich der Umstand, dass Kunstinstitutionen wie Artists Space ihre Türen für Graffiti öffneten. Je mehr Aufregung die gebombten Subways in der städtischen Öffentlichkeit erregten, desto interessanter wurde die Bewegung für diese gerade entstehende, alternative Kunstszene der Stadt. [...] Dass Graffiti in sich hierarchisch und seinem Zweck nach egoistisch war, wurde auch damals schon klar gesehen. Beim Kunstkritiker Peter Schjeldahl, der einen Text für das kleine Katalogheft zur Ausstellung verfasste, fand die „elitist and egocentric new form of expression“ gerade deshalb Anerkennung, weil sie Kunsttheorien oder antielitären Prinzipien nicht gehorche und stilistische Individualität zum absoluten Zweck erhebe.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) |
Das originäre anarchische Selbstverständnis von Graffiti beinhaltet, dass es sich selbst generell keinerlei Grenzen auferlegt. Es kümmert sich nicht um Gesetz und Moral, kann sich allerdings auch nicht den gesetzlichen und moralischen Konsequenzen des real existierenden gesellschaftlichen Systems entziehen. Graffiti sind wie Desperados, die sich nicht um den Sheriff scheren, auf dessen Kugeln aber dennoch gefasst sein müssen. Vielen Szene-Akteuren ist dieses Dilemma durchaus bewusst. Zur Risikominimierung und moralischen Eigenlegitimierung setzen sie sich selbst Grenzen ihres Handelns, die sie in einen Kodex fassen. Allerdings unterliegen die selbstgesteckten Grenzen und die Willensstärke zu deren Einhaltung erheblichen Schwankungen. Während für Writer aus Stockholm Kirchen, Einfamilienhäuser und Privatautos tabu sind, zucken Berliner Akteure bei der Frage nach ihren Grenzen nur verständnislos mit den Schultern.((»Unter schwedischen Graffitikünstlern gibt es einen allgemeinen moralischen Konsens, wo man nicht malt: Kirchen, Einfamilienhäuser und Privatautos zum Beispiel sind tabu. Wenn ich Berliner Writer frage: „Wo würdest du nicht malen?“, starren sie mich verständnislos an.« – Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) Erfurter Sprayer machen selbst vor dem berühmtesten Kulturdenkmal der Stadt nicht halt.((SCHMIEREREIEN: Erfurt will Graffiti an der Krämerbrücke entfernen, MDR Thüringen, 29.07.2022: [[https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/kraemerbruecke-graffiti-entfernung-bausewein-100.html]], Abruf am 12.01.2023)) | Das originäre anarchische Selbstverständnis von Graffiti beinhaltet, dass es sich selbst generell keinerlei Grenzen auferlegt. Es kümmert sich nicht um Gesetz und Moral, kann sich allerdings auch nicht den gesetzlichen und moralischen Konsequenzen des real existierenden gesellschaftlichen Systems entziehen. Graffiti sind wie Desperados, die sich nicht um den Sheriff scheren, auf dessen Kugeln aber dennoch gefasst sein müssen. Vielen Szene-Akteuren ist dieses Dilemma durchaus bewusst. Zur Risikominimierung und moralischen Eigenlegitimierung setzen sie sich selbst Grenzen ihres Handelns, die sie in einen Kodex fassen. Allerdings unterliegen die selbstgesteckten Grenzen und die Willensstärke zu deren Einhaltung erheblichen Schwankungen. Während für Writer aus Stockholm Kirchen, Einfamilienhäuser und Privatautos tabu sind, zucken Berliner Akteure bei der Frage nach ihren Grenzen nur verständnislos mit den Schultern.((»Unter schwedischen Graffitikünstlern gibt es einen allgemeinen moralischen Konsens, wo man nicht malt: Kirchen, Einfamilienhäuser und Privatautos zum Beispiel sind tabu. Wenn ich Berliner Writer frage: „Wo würdest du nicht malen?“, starren sie mich verständnislos an.« – Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) Erfurter Sprayer machen selbst vor dem berühmtesten Kulturdenkmal der Stadt nicht halt.((SCHMIEREREIEN: Erfurt will Graffiti an der Krämerbrücke entfernen, MDR Thüringen, 29.07.2022: [[https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/kraemerbruecke-graffiti-entfernung-bausewein-100.html]], Abruf am 12.01.2023)) |
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Mit ihrem anarchischen Selbstverständnis positionieren sich Graffiti bewusst außerhalb des vorgegebenen gesetzlichen gesellschaftlichen Rahmens. Das Grundrecht auf Kunstfreiheit mit seinen besonders weitreichenden Zugeständnissen kann seine Wirkung jedoch nur innerhalb dieses Rahmens entfalten und setzt dessen Anerkennung im Kontext der künstlerischen Betätigung voraus. Es erscheint absurd, den konstitutionellen Schutzschirm der Kunstfreiheit aus einer Position außerhalb des Gesetzes in Anspruch nehmen zu wollen. In diesem Zusammenhang versagt die aktuelle Rechtsprechung unmissverständlich die Ausdehnung der Kunstfreiheit auf die unautorisierte Beeinträchtigung fremden Eigentums.((Vgl. Halecker, Dela-Madeleine (Verfasser) et al.: Kunst und Strafrecht: eine Reise durch eine schillernde Welt, De Gruyter, Berlin, 2022)) | Mit ihrem anarchischen Selbstverständnis positionieren sich Graffiti bewusst außerhalb des vorgegebenen gesetzlichen gesellschaftlichen Rahmens. Das Grundrecht auf Kunstfreiheit mit seinen besonders weitreichenden Zugeständnissen kann seine Wirkung jedoch nur innerhalb dieses Rahmens entfalten und setzt dessen Anerkennung im Kontext der künstlerischen Betätigung voraus. Es erscheint absurd, den konstitutionellen Schutzschirm der Kunstfreiheit aus einer Position außerhalb des Gesetzes in Anspruch nehmen zu wollen. In diesem Zusammenhang versagt die aktuelle Rechtsprechung unmissverständlich die Ausdehnung der Kunstfreiheit auf die unbefugte Beeinträchtigung fremden Eigentums bzw. von Objekten mit öffentlichem Interesse.((Vgl. Halecker, Dela-Madeleine (Verfasser) et al.: Kunst und Strafrecht: eine Reise durch eine schillernde Welt, De Gruyter, Berlin, 2022)) |
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Erfolgt die Graffitierstellung hingegen im legalen Kontext, fallen die oben genannten Einschränkung weg und die Regelungen zur Kunstfreiheit kommen zur Anwendung. Nur handelt es sich dabei dann nicht mehr um Graffiti im klassischen Sinne, sondern um graffitiähnliche Werke oder „Post-Graffiti“, auch wenn sie wie Graffiti aussehen und umgangssprachlich als Graffiti bezeichnet werden. Gelegentlich ist in diesem Kontext in der Szene sogar der Vorwurf der kulturellen Preisgabe bzw. – je nach Betrachtungswinkel – der kulturellen Aneignung zu vernehmen.((»Der korrupte Zustand vielseitiger Instrumentalisierbarkeit und Affirmativität von Graffiti […] ist historisch sehr früh eingetreten; noch bevor Graffiti seine inzwischen fast globale Erfolgsgeschichte begann. [...] Vieles am Verhältnis der beiden Szenen von Kunst und Graffiti war wechselseitiges Missverständnis, aber nicht alles. Die Graffitibewegung hatte der Kunst in jenen Jahren mit spielerischer Leichtigkeit vorgeführt, was diese erhoffte, aber nicht zu verwirklichen schaffte: eine kreative Praxis mit den denkbar geringsten Zugangsschranken, untrennbar verwoben mit dem Lebensalltag; ein Modell von unentfremdeter Produktivität, das in seiner radikalen Selbstverantwortlichkeit ohne den Zwang zur Mehrwertschöpfung in der Tat ein subversives Moment innewohnt. […] Graffiti hat ohne politische Agenda, quasi als Idiot, das erreicht, was avantgardistische Ansätze oder die alternativen Kunstszenen nicht konnten und nie erreichen werden. Ein subversives Moment wohnt Graffiti also auch im Verhältnis zur Kunst inne: Solange diese die Verbindung zu Galerien, Museen und Kunst als Beruf zu erhalten versucht, bleibt sie zwingend und eng gebunden an die ökonomischen Strukturen ihres gesellschaftlichen Milieus. Die ökonomischen Potentiale der Kunst bleiben Graffiti so natürlich verwehrt.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) | Erfolgt die Graffitierstellung hingegen im legalen Kontext, fallen die oben genannten Einschränkung weg und die Regelungen zur Kunstfreiheit kommen zur Anwendung. Nur handelt es sich dabei dann nicht mehr um Graffiti im klassischen Sinne, sondern um graffitiähnliche Werke oder „Post-Graffiti“, auch wenn sie wie Graffiti aussehen und umgangssprachlich als Graffiti bezeichnet werden. Gelegentlich ist in diesem Kontext in der Szene sogar der Vorwurf der kulturellen Preisgabe bzw. – je nach Betrachtungswinkel – der kulturellen Aneignung zu vernehmen.((»Der korrupte Zustand vielseitiger Instrumentalisierbarkeit und Affirmativität von Graffiti […] ist historisch sehr früh eingetreten; noch bevor Graffiti seine inzwischen fast globale Erfolgsgeschichte begann. [...] Vieles am Verhältnis der beiden Szenen von Kunst und Graffiti war wechselseitiges Missverständnis, aber nicht alles. Die Graffitibewegung hatte der Kunst in jenen Jahren mit spielerischer Leichtigkeit vorgeführt, was diese erhoffte, aber nicht zu verwirklichen schaffte: eine kreative Praxis mit den denkbar geringsten Zugangsschranken, untrennbar verwoben mit dem Lebensalltag; ein Modell von unentfremdeter Produktivität, das in seiner radikalen Selbstverantwortlichkeit ohne den Zwang zur Mehrwertschöpfung in der Tat ein subversives Moment innewohnt. […] Graffiti hat ohne politische Agenda, quasi als Idiot, das erreicht, was avantgardistische Ansätze oder die alternativen Kunstszenen nicht konnten und nie erreichen werden. Ein subversives Moment wohnt Graffiti also auch im Verhältnis zur Kunst inne: Solange diese die Verbindung zu Galerien, Museen und Kunst als Beruf zu erhalten versucht, bleibt sie zwingend und eng gebunden an die ökonomischen Strukturen ihres gesellschaftlichen Milieus. Die ökonomischen Potentiale der Kunst bleiben Graffiti so natürlich verwehrt.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) |
Heute finden Graffiti nur noch selten den Zugang zu namhaften Kunstausstellungen.((»Die Präsenz von Graffiti in großen kommerziellen Galerien ist ein Phänomen, das auf die 1980er Jahre beschränkt geblieben ist. […] Graffiti, so kann man nach Jahrzehnten sagen, ist keine Kunstbewegung unter anderen geworden. […] Graffiti [führt] ein Dasein am Rande der Kunst – ein historisches Alleinstellungsmerkmal, denn vergleichbare populärkünstlerische Phänomene […] brachten es irgendwann doch zur akzeptierten künstlerischen Technik.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) Dennoch gibt es immer wieder Versuche der Annäherung von Graffiti und etablierter Kunst, die – in der Hoffnung auf Prävention illegaler Graffiti – oft staatlich gefördert werden. Treibende Kräfte hinter diesen Annäherungsversuchen sind meist Szene-Veteranen oder Akteure, die bereits einen gewissen gesellschaftlichen Sozialisierungsprozess durchlaufen haben und ihre frühere anarchische Tätigkeit nunmehr differenzierter betrachten, jedoch nicht gänzlich aufgeben wollen.((Sandra Rummler bemängelt in diesem Kontext, dass gealterte Sprayer oft Privilegien für sich beanspruchen, die sie als Jugendliche anderen nicht zugestanden haben: »Fraglich und fast sektenhaft ist ebenfalls die grundsätzliche Heiligsprechung aller Oldschooler. Wenn sich jemand erdreistet über ein Piece rüberzugehen, was jemand beispielsweise vor 10 Jahren gemalt hat, dann geht das große Weinen los. Mit anderen Worten: Ich scheiße auf das Eigentum anderer Leute, doch sobald jemand „mein“ Eigentum (Bild) nicht achtet, verhalte ich mich genau wie die Leute, die ich vorher für Ihre Gartenzwergmentalität verachtet habe.« – Rummler, Sandra: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-19-rummler|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – IDEE UND WIRKLICHKEIT]], Abruf am 04.12.2022)) ((David Alexander meint dazu nicht ohne Sarkasmus: »Die früheren Vorgaben und Auflagen haben sich [heute] verflüchtigt. Der Anachronismus hält Einzug. Die Kids von früher sind sprühende Rentner geworden, der einstige Bite zum Zitat.« – Alexander, David: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-25-alexander|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – ES DARF NICHT DIR GEHÖREN]], Abruf am 10.12.2022)) Dabei geht es oft vorrangig um Forderungen nach legalen Flächen und Auftragsarbeiten.((»Außerdem leisten in […] Vereinen engagierte Ehrenamtliche […] Großes im Hinblick auf eine Politisierung von Graffiti, wobei auch nicht unter den Tisch fallen darf, dass die Bemühungen von Graffitivereinen sich leider zu häufig auf das Ergattern legaler Flächen oder von Auftragsarbeiten belaufen.« –Jung, Matze: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-20-jung|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – „EACH ONE TEACH ONE“ – ABER WAS DENN EIGENTLICH?]], Abruf am 05.12.2022)) | Heute finden Graffiti nur noch selten den Zugang zu namhaften Kunstausstellungen.((»Die Präsenz von Graffiti in großen kommerziellen Galerien ist ein Phänomen, das auf die 1980er Jahre beschränkt geblieben ist. […] Graffiti, so kann man nach Jahrzehnten sagen, ist keine Kunstbewegung unter anderen geworden. […] Graffiti [führt] ein Dasein am Rande der Kunst – ein historisches Alleinstellungsmerkmal, denn vergleichbare populärkünstlerische Phänomene […] brachten es irgendwann doch zur akzeptierten künstlerischen Technik.« – Streichholz, Josef: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-34-streichholz|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – GRAFFITI ALS SCHLAUER IDIOT]], Abruf am 11.12.2022)) Dennoch gibt es immer wieder Versuche der Annäherung von Graffiti und etablierter Kunst, die – in der Hoffnung auf Prävention illegaler Graffiti – oft staatlich gefördert werden. Treibende Kräfte hinter diesen Annäherungsversuchen sind meist Szene-Veteranen oder Akteure, die bereits einen gewissen gesellschaftlichen Sozialisierungsprozess durchlaufen haben und ihre frühere anarchische Tätigkeit nunmehr differenzierter betrachten, jedoch nicht gänzlich aufgeben wollen.((Sandra Rummler bemängelt in diesem Kontext, dass gealterte Sprayer oft Privilegien für sich beanspruchen, die sie als Jugendliche anderen nicht zugestanden haben: »Fraglich und fast sektenhaft ist ebenfalls die grundsätzliche Heiligsprechung aller Oldschooler. Wenn sich jemand erdreistet über ein Piece rüberzugehen, was jemand beispielsweise vor 10 Jahren gemalt hat, dann geht das große Weinen los. Mit anderen Worten: Ich scheiße auf das Eigentum anderer Leute, doch sobald jemand „mein“ Eigentum (Bild) nicht achtet, verhalte ich mich genau wie die Leute, die ich vorher für Ihre Gartenzwergmentalität verachtet habe.« – Rummler, Sandra: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-19-rummler|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – IDEE UND WIRKLICHKEIT]], Abruf am 04.12.2022)) ((David Alexander meint dazu nicht ohne Sarkasmus: »Die früheren Vorgaben und Auflagen haben sich [heute] verflüchtigt. Der Anachronismus hält Einzug. Die Kids von früher sind sprühende Rentner geworden, der einstige Bite zum Zitat.« – Alexander, David: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-25-alexander|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – ES DARF NICHT DIR GEHÖREN]], Abruf am 10.12.2022)) Dabei geht es oft vorrangig um Forderungen nach legalen Flächen und Auftragsarbeiten.((»Außerdem leisten in […] Vereinen engagierte Ehrenamtliche […] Großes im Hinblick auf eine Politisierung von Graffiti, wobei auch nicht unter den Tisch fallen darf, dass die Bemühungen von Graffitivereinen sich leider zu häufig auf das Ergattern legaler Flächen oder von Auftragsarbeiten belaufen.« –Jung, Matze: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-20-jung|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – „EACH ONE TEACH ONE“ – ABER WAS DENN EIGENTLICH?]], Abruf am 05.12.2022)) |
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Ein Gang durch die Großstadt oder ein Blick in die polizeiliche Kriminalitätsstatistik stellen jedoch unmissverständlich klar, dass es an Hard-Core-Nachwuchs (der sich wenig um die späten Einsichten der Altvorderen schert) nicht mangelt und sich Graffiti weder durch konsequente Bekämpfung abschaffen noch durch Anbiederungsversuche des Systems assimilieren ließen.((Die Anzahl der erfassten Fälle von Sachbeschädigung durch Graffiti in Deutschland pegelte sich seit 2013 um die Größenordnung von ca. 100.000 Delikten pro Jahr auf hohem Niveau ein. Vgl. GRAFFITI INTERDISZIPLINÄR, Hauptartikel [[graffiti_historische_einordnung|]], Abruf am 12.01.2023)) Die unautorisiert bemalten Wände waren, sind und bleiben auf absehbare Zeit der originäre Lebensraum von Graffiti. Wie lange die – mit gut 50 Jahren – noch relativ junge Erscheinungsform Style Writing noch dominieren wird, kann heute niemand seriös voraussagen. Graffiti als jahrtausendaltes kulturelles Phänomen werden jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht so bald ihre Existenz aufgeben. Wer Graffiti als Problem sieht, sollte nicht weiter auf Bekämpfungs- und Assimilierungsversuche (die nicht nur regelmäßig scheitern, sondern meist auch das Gegenteil der ursprünglichen Absicht bewirken) setzen, sondern jenseits von Ablehnung und Befürwortung eine nachhaltige Strategie des Umgangs entwickeln und verfolgen. | Ein Gang durch die Großstadt oder ein Blick in die polizeiliche Kriminalitätsstatistik stellen jedoch unmissverständlich klar, dass es an Hard-Core-Nachwuchs (der sich wenig um die späten Einsichten der Altvorderen schert) nicht mangelt und sich Graffiti weder durch konsequente Bekämpfung abschaffen noch durch Anbiederungsversuche des Systems assimilieren ließen.((Die Anzahl der erfassten Fälle von Sachbeschädigung durch Graffiti in Deutschland pegelte sich seit 2013 um die Größenordnung von ca. 100.000 Delikten pro Jahr auf hohem Niveau ein. Vgl. GRAFFITI INTERDISZIPLINÄR, Hauptartikel [[graffiti_historische_einordnung|]], Abruf am 12.01.2023)) Die unbefugt bemalten Wände waren, sind und bleiben auf absehbare Zeit der originäre Lebensraum von Graffiti. Wie lange die – mit gut 50 Jahren – noch relativ junge Erscheinungsform Style Writing noch dominieren wird, kann heute niemand seriös voraussagen. Graffiti als jahrtausendaltes kulturelles Phänomen werden jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht so bald ihre Existenz aufgeben. Wer Graffiti als Problem sieht, sollte nicht weiter auf Bekämpfungs- und Assimilierungsversuche (die nicht nur regelmäßig scheitern, sondern meist auch das Gegenteil der ursprünglichen Absicht bewirken) setzen, sondern jenseits von Ablehnung und Befürwortung eine nachhaltige Strategie des Umgangs entwickeln und verfolgen. |