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graffiti_ursachen_motivation [2024/10/25 17:47] – [2. Einordnung von Style Writing und Szene-Graffiti] graffitaro | graffiti_ursachen_motivation [2024/10/25 17:57] (aktuell) – graffitaro |
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===== 1. Graffiti als anarchische Kommunikationsform ===== | ===== 1. Graffiti als anarchische Kommunikationsform ===== |
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Es besteht in der Forschung weitgehend Konsens darüber, dass Graffiti im klassischen Sinne eine anarchische Kommunikationsfunktion innehaben, die sich in grafischen Botschaften manifestiert, welche ohne Autorisierung auf fremdes Eigentum (häufig öffentlich zugängliche Wände im urbanen Raum) aufgetragen werden. Die Motivation für dieses uralte Phänomen, das sich bis in die Anfänge der kulturellen menschlichen Entwicklung zurückverfolgen lässt, liegt im ichbezogenen Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis des Menschen als soziales Wesen. Somit steht bei Graffiti weniger die eigentliche inhaltliche Botschaft, als vielmehr die sozio-kulturelle Identität des Akteurs im Fokus.((Der ehemalige Graffitiakteur und heutige Änderungsschneider Eric Winkler sieht in diesem Umstand Ansatzpunkte für die Beeinflussung der Graffitiszene von außen: »Graffiti ist ein artifizielles Kommunikationssystem. Kommuniziert werden weniger geschriebene eindeutige Botschaften, als die kulturellen Identitäten der jeweiligen Akteure. […] Um die Graffitibewegung zu beeinflussen ist es von großer Bedeutung sich diese kommunikative Funktion zu eigen zumachen und in Form von Schriftbildern, die der Öffentlichkeit – wo und wie auch immer – präsentiert werden, eine eigene Position einzunehmen.« – Winkler, Eric: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-23-winkler|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – MEMBRAN 176]], Abruf am 09.12.2022)) Besonderen Anklang findet die kulturell niederschwellige Kommunikationsform Graffiti((Der schwedische Graffitiakteur Tobias Barenthin Lindblad berichtet aus eigener Erfahrung: »Graffiti hat eine niedrige Einstiegsschwelle. Es ist möglich, Graffiti ohne ein kulturelles Kapital auszuüben.« – Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) bei Individuen, die dialogbedingte Konflikte im Rahmen der etablierten gesellschaftlich-kulturellen Ordnung scheuen und ihre Genugtuung eher indirekt aus der distanzierten Beobachtung der Reflexionen anderer auf ihre Botschaften generieren. Das Phänomen Graffiti ist somit vorrangig im sozialpsychologischen Kontext einzuordnen. | Es besteht in der Forschung weitgehend Konsens darüber, dass Graffiti im klassischen Sinne eine anarchische Kommunikationsfunktion innehaben, die sich in schriftlichen oder bildlichen Botschaften manifestiert, welche ohne Befugnis auf beliebigen Untergrund (dabei meistens auf öffentlich zugängliche Flächen im urbanen Raum) aufgetragen werden. Die Motivation für dieses uralte Phänomen, das sich bis in die Anfänge der kulturellen menschlichen Entwicklung zurückverfolgen lässt, liegt im ichbezogenen Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis des Menschen als soziales Wesen. Somit steht bei Graffiti weniger die eigentliche inhaltliche Botschaft, als vielmehr die sozio-kulturelle Identität des Akteurs im Fokus.((Der ehemalige Graffitiakteur und heutige Änderungsschneider Eric Winkler sieht in diesem Umstand Ansatzpunkte für die Beeinflussung der Graffitiszene von außen: »Graffiti ist ein artifizielles Kommunikationssystem. Kommuniziert werden weniger geschriebene eindeutige Botschaften, als die kulturellen Identitäten der jeweiligen Akteure. […] Um die Graffitibewegung zu beeinflussen ist es von großer Bedeutung sich diese kommunikative Funktion zu eigen zumachen und in Form von Schriftbildern, die der Öffentlichkeit – wo und wie auch immer – präsentiert werden, eine eigene Position einzunehmen.« – Winkler, Eric: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-23-winkler|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – MEMBRAN 176]], Abruf am 09.12.2022)) Besonderen Anklang findet die kulturell niederschwellige Kommunikationsform Graffiti((Der schwedische Graffitiakteur Tobias Barenthin Lindblad berichtet aus eigener Erfahrung: »Graffiti hat eine niedrige Einstiegsschwelle. Es ist möglich, Graffiti ohne ein kulturelles Kapital auszuüben.« – Lindblad, Tobias Barenthin: [[https://menetekel.org/publications/tdog/chapter-12-lindblad#fnref1:2|The Death of Graffiti (digitale Online-Ausgabe) – TOD UND LEBEN VON GRAFFITI]], Abruf am 23.11.2022)) bei Individuen, die dialogbedingte Konflikte im Rahmen der etablierten gesellschaftlich-kulturellen Ordnung scheuen und ihre Genugtuung eher indirekt aus der distanzierten Beobachtung der Reflexionen anderer auf ihre Botschaften generieren. Das Phänomen Graffiti ist somit vorrangig im sozialpsychologischen Kontext einzuordnen. |
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Die Urform der Graffitibotschaft besteht lediglich aus dem Namen einer Person oder Personengruppe und dient vorrangig der Eigenglorifizierung oder der Erhebung von Ansprüchen gegenüber anderen. Häufig gehen Graffiti über die bloße Namensnennung hinaus und beinhaltet Aussagen, Fragestellungen, Forderungen, Aggressivitäten, Obszönitäten und Wortwitz jeglicher Art. Inhaltlich stehen dabei vorrangig staatliches Handeln und Politik, weltanschauliche Positionen und Zwischenmenschliches, aber auch Kunst, Kultur und Sport, im Fokus. Immer wieder anzutreffende Verflechtungen von Graffiti und etablierter Kunst dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Graffiti vom Eigenverständnis her originär nie oder höchstens am Rande als Kunst sahen und im direkten Vergleich zur etablierten Kunst unvereinbare Wesensmerkmale aufweisen (→ //Hauptartikel:// [[:graffiti_und_kunstfreiheit|]]). | Die Urform der Graffitibotschaft besteht lediglich aus dem Namen einer Person oder Personengruppe und dient vorrangig der Eigenglorifizierung oder der Erhebung von Ansprüchen gegenüber anderen. Häufig gehen Graffiti über die bloße Namensnennung hinaus und beinhaltet Aussagen, Fragestellungen, Forderungen, Aggressivitäten, Obszönitäten und Wortwitz jeglicher Art. Inhaltlich stehen dabei vorrangig staatliches Handeln und Politik, weltanschauliche Positionen und Zwischenmenschliches, aber auch Kunst, Kultur und Sport, im Fokus. Immer wieder anzutreffende Verflechtungen von Graffiti und etablierter Kunst dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Graffiti vom Eigenverständnis her originär nie oder höchstens am Rande als Kunst sahen und im direkten Vergleich zur etablierten Kunst unvereinbare Wesensmerkmale aufweisen (→ //Hauptartikel:// [[:graffiti_und_kunstfreiheit|]]). |